Parlament außen vor

Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestag. Steinmeier will im Irak an die »Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren« gehen
Gastbeitrag von Heike Hänsel MdB in der jungen Welt, 20.8.2014

Es wirkt schon grotesk, was die Bundesregierung dieser Tage zur Krise im Irak verlautbaren läßt. Auf der einen Seite drängen Kabinettsmitglieder auf rasche Waffenlieferungen in den Nordirak, um die von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei alimentierte Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) aufzuhalten. Aber auf welcher rechtlichen Grundlage soll das geschehen? Welche Waffen sollen geliefert werden? Wer soll sie erhalten? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen blieb Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Montag nachmittag bei einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages schuldig. Ebenso wie zur Lage in der Ukraine, über die nicht einmal eine halbe Stunde gesprochen wurde. Nachfragen waren in beiden Fällen, trotz der brisanten Situation, nur sehr eingeschränkt möglich.

Steinmeier hatte bei der Sondersitzung während der Sommerpause des Parlaments viel geredet. Gesagt hat er wenig. Es ist auffällig, daß sowohl der SPD-Mann als auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die ebenfalls am Montag bei einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses aufgetreten war, um die heißen Themen herumlavieren und klare Aussagen vermeiden.

Nur ein Ziel kristallisiert sich heraus: Die schwere humanitäre Krise in Syrien und im Nordirak soll genutzt werden, um noch mehr Waffenexporten Tür und Tor zu öffnen. »Man muß erst einmal das Tabu brechen«, wurde Ministerin von der Leyen nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses zitiert, während der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte (CDU), forderte: »Wir dürfen keine ideologischen Scheuklappen haben.« Außenminister Steinmeier erklärte indes, man müsse in dieser Frage »an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren gehen.« Die politischen Grundsätze der Bundesregierung zu Rüstungsexporten verbieten Waffenlieferungen an Staaten, »die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht«. Aber daß diese Grundsätze nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, haben schon die Waffenlieferungen der deutschen Rüstungsschmiede SIG Sauer nach Kolumbien gezeigt. Der illegale Weiterverkauf über die USA in das süd­amerikanische Bürgerkriegsland hätte einen sofortigen Ausfuhrstopp nach Washington zur Folge haben müssen. Auf Nachfrage, ob der denn nun erlassen würde, reagierte das Verteidigungsministerium dünnhäutig. Natürlich nicht, hieß es, schließlich seien die USA ein NATO-Partner. Nach geopolitischen Erwägungen wird entschieden, das Parlament bleibt dabei außen vor.

Die Antwort auf den Vormarsch der Terrorgruppe IS im Irak und auf die daraus folgende humanitäre Krise kann nur eine konsequente Politik der Demilitarisierung sein. Weitere Waffenlieferungen wären eine kurzsichtige Strategie, weil sie nur weiteres Leid schüren würden. Es wäre Irrsinn, zu glauben, daß man nun neue und »bessere« Rüstungsgüter gegen die Waffen in den Händen der salafistischen Dschihadisten einsetzen könne. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur kurzsichtig, sondern hätte auch nur einen Gewinner: die Rüstungskonzerne, die dann wieder einmal beide Seiten eines eskalierenden Krieges beliefern würden. Zumal am Montag – wie in der generellen Debatte – nur über den Nordirak gesprochen wurde. Im Fall der Menschen, die in die syrische Kurdenregion geflohen sind, spricht niemand über Waffenlieferungen oder auch nur humanitäre Hilfe. Die Blockade der Grenze zu Syrien durch die türkische Regierung, die jegliche Hilfstransporte unmöglich macht, wird ebenfalls nicht thematisiert. Auch das ist ein Beleg dafür, daß das Leid der Menschen für geostrategische Interessen instrumentalisiert wird. Das nordirakische autonome Kurdengebiet steht im Fokus, um die dortigen prowestlichen Kräfte um Präsident Masud Barsani zu stärken. In Syrien würde die »moderate Opposition« zwischen dem IS und der Armee des Landes zerrieben, sagte Steinmeier am Montag. Man müsse die Haltung auch gegenüber Assad daher strategisch neu ausrichten. Daß der IS aber massiv von der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung der »moderaten Opposition« durch die »Freunde Syriens« profitiert hat und durch die engen Kooperationspartner des Westens, Katar und Saudi-Arabien, gestärkt wird, bleibt ohne Konsequenzen. Auch die Meldungen über türkische Hilfeleistungen und offene Grenzen für IS-Kämpfer tangieren die Bundesregierung wenig. Statt dessen hat der deutsche Außenminister die russischen Waffen, die irgendwie in die Ukraine »diffundieren« würden, im Blick und unterstützt eine Überwachung der ukrainisch-russischen Grenze mit Beteiligung der OSZE.

So wird in der Ukraine weiter gezündelt. Während sich Steinmeier am Montag für sein Treffen mit seinen Amtskollegen aus Rußland, Frankreich und der Ukraine feiern ließ, vermied er auch bei diesem Thema die brisanten Fragen. Die Stationierung von US-Soldaten in Polen und den baltischen Staaten etwa. Oder das geplante NATO-Manöver »Rapid Trident 14« im September in der Ukraine. Der NATO sei deswegen kein verantwortungsloses Handeln vorzuwerfen, so Steinmeier: »In Rußland wird das sehr gut verstanden.«

Veröffentlich in: junge Welt, 20.8.2014
http://www.jungewelt.de/2014/08-20/052.php

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