Diese Flüchtlingspolitik ist die Schande Europas

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller, Sie haben Ihre Rede mit dem Hinweis auf einen Jungen in Neu-Delhi begonnen, den Sie getroffen haben und der durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wird. Ich frage Sie aber: Was ist mit all den Flüchtlingskindern, die seit Monaten in Idomeni im Morast und unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren müssen, den Kindern, die nun von den griechischen Inseln in die Türkei und dann von der Türkei weiter nach Syrien zurückgeschickt werden? Es ist fraglich, ob sie es überhaupt überleben; denn türkische Grenzsoldaten schießen auf Flüchtlinge, auch auf Frauen und Kinder. Was ist mit all diesen Kindern? Das ist die Schande Europas. Selbst der Papst hat diese Politik, für die Sie Verantwortung tragen, scharf kritisiert.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt nun mehr Geld, Bildungsangebote und Arbeitsmöglichkeiten für die Flüchtlinge, die seit Jahren in den Nachbarländern der Kriegsregionen Syrien und Irak ausharren müssen. Das ist bitter nötig. Aber auch hier sehen wir die Folgen der verfehlten Politik der Bundesregierung. Sie hat viel zu lange, über Jahre hinweg, trotz zahlreicher Appelle von Hilfsorganisationen die Beiträge sehr gering gehalten und wollte noch 2014 die Beiträge für das Welternährungsprogramm sogar kürzen, und das trotz der großen Anzahl an Flüchtlingen. Wir haben das in jeder Haushaltsdebatte kritisiert und deutliche Erhöhungen gefordert. Seit Jahren ist hier eine Verfehlung der Bundesregierung festzustellen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind konfrontiert mit einem Höchststand bei den Flüchtlingszahlen weltweit. Herr Müller, Sie haben gesagt, es gehe um die Fluchtursachen. Aber in dem, was im Antrag von CDU/CSU und SPD niedergeschrieben ist, reden Sie nicht von den eigentlichen Ursachen, warum Millionen Menschen auf der Flucht sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie fliehen aus den Kriegsregionen Syrien, Irak, Libyen und Jemen. All diese Länder werden seit Jahren durch eine Kriegspolitik des Westens destabilisiert. Diese Politik hat zu einem Chaos in diesen Ländern beigetragen. Unter Führung der USA wurden diese Länder im Namen des sogenannten Krieges gegen den Terror massiv destabilisiert und zerstört. Den dort lebenden Menschen wurde jegliche Lebensperspektive genommen. Das zwingt die Menschen zur Flucht. Wir haben von Anfang an diesen Krieg gegen den Terror, der selbst Terror für die Menschen in der Region bedeutet, verurteilt und hier als einzige Fraktion abgelehnt.
(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland beteiligt sich doch an all diesen Militäreinsätzen. 15 Jahre Krieg in Afghanistan! Die Situation ist fatal. Das ist eine Katastrophe für die Menschen in der Region. Deutschland unterstützt logistisch US-Drohnenangriffe in Pakistan oder im Jemen. Deutschland hat sich zum Beispiel an der Umsturzpolitik in Syrien beteiligt. In all diesen Regionen wird auch mit deutschen Waffen gemordet. Deswegen: Wer von der Bekämpfung der Fluchtursachen spricht, darf zu dieser Kriegspolitik, dieser Umsturzpolitik und den Waffenexporten nicht schweigen.
(Beifall bei der LINKEN)

Die deutsche Außenpolitik muss sich grundsätzlich ändern, wenn wir zur Überwindung der Fluchtursachen ernsthaft beitragen wollen. Wir wollen eine aktive Friedenspolitik, die sich nicht an NATO-Militärinterventionen beteiligt, die die Rüstungsexporte weltweit stoppt und die auch sämtliche Drohnenangriffe von deutschem Boden aus sofort unterbindet.
(Beifall bei der LINKEN)

Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Frau von der Leyen rüstet sich jetzt für neue Kriegseinsätze. Sie will die Bundeswehr erstmalig wieder aufstocken und damit die Ära der Abrüstung beenden. Ich frage Sie, Herr Entwicklungsminister Müller: Was sagen Sie denn zu dieser Politik der neuen Aufrüstung und des neuen Wettrüstens? Das ist doch ein Wahnsinn. Was sagen denn die SPD und Außenminister Steinmeier dazu? Treten wir jetzt in eine neue Ära des Wettrüstens ein? Wo ist Ihre Friedenspolitik?
(Beifall bei der LINKEN)

Frau von der Leyen fordert 130 Milliarden Euro in den kommenden Jahren für die Bundeswehr. 130 Milliarden Euro sind mehr als die weltweiten Entwicklungsausgaben eines gesamten Jahres. Wir wollen nicht, dass dieses Geld für noch mehr Kriegseinsätze, für noch mehr Tod und Zerstörung verwendet wird, was immer wieder neue Flüchtlinge hervorbringt, sondern wir wollen, dass dieses Geld endlich in die soziale Entwicklung in den Ländern des Südens und auch in eine soziale Offensive hier in den Kommunen investiert wird.
(Beifall bei der LINKEN)

Wer Flüchtlinge schützen und Fluchtursachen bekämpfen will, muss auch ganz deutlich und scharf Nein zu diesem schmutzigen Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Despoten und Merkel-Freund Erdogan sagen;
(Beifall bei der LINKEN)

denn dieser Deal ist menschenverachtend. Flüchtlinge werden von der Türkei sogar in Kriegsgebiete zurückgeschickt. Gleichzeitig wird Erdogan dafür von der Bundesregierung und der EU mit 6 Milliarden Euro Steuergeldern belohnt. Das muss man sich einmal vorstellen: 6 Milliarden Euro für diese verbrecherische Politik von Erdogan, der eine Kriegspolitik gegen die eigene Bevölkerung betreibt, der Massaker an Zivilisten in den kurdischen Städten Diyarbakir und Cizre begangen hat, der die Enteignung von christlich-armenischen Kirchen durchgeführt hat und die Vertreibung von Kurden und Aleviten im Südosten der Türkei vorantreibt. Was sagen Sie denn eigentlich zu dieser Politik? Hier hört man auch von Ihnen, Herr Müller, herzlich wenig. Sie machen sich mittlerweile zum Komplizen dieser verbrecherischen Politik.
(Beifall bei der LINKEN)

Aber Erdogan ist nicht der einzige Despot, mit dem die EU nun beste Beziehungen pflegt. Das Magazin Monitor hat vor kurzem interne Berichte der EU-Kommission veröffentlicht, die neue Kooperationen mit afrikanischen Machthabern aufdecken, unter anderem im Sudan, in Eritrea, Äthiopien und Somalia. Dabei ging es darum, dass unter keinen Umständen dies an die Öffentlichkeit gelangen dürfte. Herr Müller, weswegen eigentlich nicht? Was haben Sie denn zu verschweigen?
(Beifall bei der LINKEN)

Warum war es denn so wichtig für die EU-Kommission, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt? Es zeigt nämlich, dass die EU mittlerweile vor nichts mehr zurückschreckt, wenn es um die Flüchtlingsabwehr geht. Äthiopien zum Beispiel, eine brutale Militärdiktatur, soll mit mehr Entwicklungsgeld belohnt werden, wenn es Flüchtlinge zurücknimmt.
(Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Pfui!)

Afrikanische Staaten jetzt mit mehr Entwicklungshilfe ködern zu wollen, damit sie ihre Grenzen zur Flüchtlingsabwehr hochrüsten und Rücknahmeabkommen abschließen, ist eine perfide Strategie. Je mehr Flüchtlinge zurückgenommen werden, desto mehr Entwicklungshilfe ‑ das ist ein Missbrauch von Entwicklungsgeldern und menschenverachtend.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Statt diese Politik mit Afrika zu betreiben, brauchen wir endlich gerechte Handelsbeziehungen, die eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den afrikanischen Ländern ermöglichen. Seit Jahren kämpfen wir dafür, Herr Müller, dass deswegen die Freihandelsabkommen mit Afrika, die sogenannten EPAs, eben nicht abgeschlossen werden, sondern gerechte Handelsstrukturen aufgebaut werden.
(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Heike Hänsel (DIE LINKE):
Wer Fluchtursachen und nicht Flüchtlinge bekämpfen will, muss ein solidarisches und soziales Europa, ein friedliches Europa entwickeln. Die Linke wird weiter dafür kämpfen.
(Beifall bei der LINKEN – Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Allein! – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na, ja!)

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