Mehr ist mehr – Fortsetzung kolonialer Praktiken

Entwicklungsminister Gerd Müller will afrikanische Länder stärker in die Abschottungspolitik der EU einbinden und Hilfszahlungen daran koppeln. »Beim Afrika-Gipfel in Valletta muss dazu eine Afrika-Initiative kommen, und zwar in Verknüpfung mit einer Ausbildungsinitiative für die afrikanischen Staaten. Das bieten wir an. Deutschland wird das massiv unterstützen. Auf der anderen Seite müssen wir die afrikanischen Staaten in die Verantwortung nehmen zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität auf dem Kontinent«, betonte der CSU-Politiker kürzlich mit Blick auf das EU-Spitzentreffen am 11. und 12. November. Bereits vor Wochen hatten führende Unionspolitiker gefordert, die Zahlung von Entwicklungsgeldern an die Bereitschaft zur Rücknahme von Flüchtlingen zu koppeln. So würden »Anreize« zu letzterem in den Herkunftsländern erhöht. Es könne schließlich nicht sein, dass Deutschland finanziell zum Aufbau von Staaten beitrage, deren Regierungen sich weigerten, die eigenen Bürger wieder aufzunehmen.

Die Erpressung ist Bestandteil einer der »entwicklungspolitischen Initiativen« der Bundesregierung auf dem EU-Afrika-Gipfel kommende Woche in Valletta. Nach dem Prinzip »More is more« sollen zukünftig nur jene afrikanischen Länder mehr Entwicklungsgelder erhalten, die ihre Bereitschaft erklären, Rücknahmeabkommen zu unterzeichnen und Auffanglager auf den Fluchtrouten einzurichten. Dafür soll ein Treuhandfonds von der EU mit deutscher Beteiligung aufgelegt werden. Sondermittel für »Überzeugungsarbeit« von Brüssel. Denn bisher sind viele afrikanische Regierungen nicht bereit, sich dieser Erpressungspolitik zu beugen. Die EU ist deshalb bemüht, deren Vertretern zu suggerieren, sie verhandelten auf Augenhöhe. Dafür sollen die afrikanischen Staaten eventuell auch in den Aufsichtsrat des Treuhandfonds aufgenommen werden.

Natürlich gehe es laut Bundesregierung auch um Fragen wie Ernährungssicherheit und Wirtschaftsprogramme für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Aber die Intention ist eindeutig. Entwicklungszusammenarbeit wird noch offensichtlicher für strategische Interessen, in diesem Falle der Migrationsabwehr, instrumentalisiert. Das lässt die pausenlos wiederholten Parolen der Bundesregierung und der EU, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, in eienem neuen Licht erscheinen.

Von afrikanischer Seite war zu erfahren, dass viele Länder südlich des Mittelmeeres den Treuhandfonds als »vergiftetes Geschenk« wahrnehmen. Zudem wird kritisiert, dass er für Afrika lediglich 1,8 Milliarden umfassen soll – während die Türkei drei Milliarden Euro erhält. Auch die von brüssel angebotenen 3.000 Studienstipendien für den gesamten Kontinent mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern werden eher als Beleidigung und Fortsetzung kolonialer Praktiken denn als ernsthaftes Hilfsangebot aufgefasst.

Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende und entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag

Veröffentlicht in junge Welt, 7. November 2015, https://www.jungewelt.de/2015/11-07/014.php

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