Anerkennung Guaidós als Präsidenten der Nationalversammlung

Fragestunde

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Heike Hänsel auf:

Auf welcher rechtlichen Grundlage hat die Bundesregierung den selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó als wiedergewählten Präsidenten der Nationalversammlung anerkannt, obwohl seine „Wahl“ in einer Zeitungsredaktion mit ausgewählten Abgeordneten stattfand (www.amerika21.de/2020/01/236141/venezuela-guaido-maduro-parra-parlament)?

Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Hänsel, die Bundesregierung und die weiteren 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am 10. Januar dieses Jahres ihre volle Unterstützung für Juan Guaidó als Präsident der Nationalversammlung Venezuelas ausgedrückt. Die Tatsache, dass Juan Guaidó am 5. Januar im Gebäude einer Zeitungsredaktion gewählt wurde, steht dazu nach Ansicht der Bundesregierung in keinem Widerspruch.

Artikel 1 der Geschäftsordnung der venezolanischen Nationalversammlung besagt, dass diese in Ausnahmesituationen auch an anderen Orten außerhalb des Parlamentsgebäudes tagen kann. Die Frage, wo Guaidó gewählt wurde, spielt dabei keine Rolle. Zudem fand die Wahl nicht mit ausgewählten Abgeordneten statt, sondern auf Basis eines öffentlichen Aufrufs. Die Namen der 100 anwesenden Abgeordneten bzw. Ersatzabgeordneten wurden im Sitzungsprotokoll vermerkt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Sie haben eine Nachfrage? – Bitte, Frau Kollegin Hänsel.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke. – Ich finde es schon sehr merkwürdig, dass die Bundesregierung sich auch jetzt nicht zu schade ist, den selbsternannten Präsidenten als wiedergewählten Präsidenten der Nationalversammlung anzuerkennen, obwohl diese Versammlung mit nachweislich deutlich weniger Abgeordneten in einer Redaktionsstube stattgefunden hat. Wie kommen Sie denn zu der Einschätzung, dass das Treffen der Nationalversammlung, um eine Wiederwahl des Präsidenten durchzuführen, nicht rechtsförmlich stattfinden konnte, obwohl nachweislich – und das kann man bei allen Fernsehaufzeichnungen sehen; es gibt Filme davon – niemand daran gehindert wurde, das Gebäude zu betreten, auch Juan Guaidó nicht? Er hatte die Möglichkeit, an der Sitzung der Nationalversammlung teilzunehmen, hat sich dann aber anders entschieden. Das sagen übrigens auch andere Oppositionspolitiker aus seinem eigenen Lager wie der Sozialdemokrat Williams Dávila.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident! Liebe Kollegin Hänsel, offensichtlich haben wir nicht nur unterschiedliche Wahrnehmungen. Unsere Aussagen beruhen auch auf ganz unterschiedlichen Fakten. Es ist sicherlich richtig, dass Herrn Guaidó der Zugang zum Parlamentsgebäude ermöglicht wurde.

Einer Gruppe von Abgeordneten aus dem Guaidó-Lager aber wurde der Zutritt in das Gebäude der Nationalversammlung durch die Nationalgarde verwehrt. Da Sie sich in der Verfassung gut auskennen, hätten Sie sicherlich auch wissen müssen, dass die Sitzung ohne Guaidó als amtierenden Präsidenten der Nationalversammlung gar nicht hätte eröffnet werden dürfen. Es gibt hier klare Rechtsverstöße. Die Eröffnung der Sitzung durch den Alterspräsidenten hätte überhaupt nicht erfolgen dürfen. Das ist nur zulässig für den Fall der Konstituierung der Nationalversammlung.

Eine nachvollziehbare namentliche Abstimmung fand auch nicht statt. Auch das ist ein klarer Verstoß. Wir wissen überhaupt nicht: Wer hat abgestimmt? Wer hat wie abgestimmt? Insofern ist aus Sicht der Bundesregierung und aus Sicht der Europäischen Union das Verfahren zur Ernennung von Luis Parra rechtswidrig.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank. – Frau Kollegin, eine weitere Nachfrage. Bitte schön.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön. – Es ging um einen Abgeordneten, gegen den auch ein strafrechtliches Verfahren läuft. In diesem Zusammenhang war es für ihn nicht möglich, an der Wahl teilzunehmen.

Ich möchte aber eine andere Frage an Sie stellen: Wie bewerten Sie den Vorgang, dass wir Abgeordnete von der US-amerikanischen Botschaft eine Blaupause zugeschickt bekommen haben, in der auf diese falsche Darstellung der Sitzung der Nationalversammlung verwiesen wird? Es heißt darin, dass wir uns an die venezolanische Regierung wenden sollen und uns für die Stärkung der Nationalversammlung einsetzen sollen. Diese Blaupause richtet sich an uns Abgeordnete; wir können unsere Namen einfügen. Aber sie richtet sich auch an die Bundesregierung, einen solchen Brief an die venezolanische Regierung zu schicken. Ich halte das für einen einzigartigen Vorgang. Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass ich eine Briefvorlage aus der US-amerikanischen Botschaft zugeschickt bekomme, um sie nach Venezuela zu schicken.

Wie bewerten Sie diesen Vorgang? Sie müssen offensichtlich auch diese Blaupause bekommen haben.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Nur die richtigen Leute! Ich habe keine!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Staatsminister, bitte.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Ich bin, Herr Präsident, Frau Kollegin Hänsel, nicht über den vollständigen Posteingang im Auswärtigen Amt informiert. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die allermeisten Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht nur frei gewählte, sondern auch selbstbewusste Abgeordnete sind, die keinerlei Blaupausen bedürfen.

Die Bundesregierung bedarf erst recht keiner Blaupause. Unsere politische und rechtliche Bewertung des rechtswidrigen Vorgehens des Maduro-Regimes beruht nicht auf Blaupausen irgendeiner anderen Regierung, sondern auf Erkenntnissen, die wir selbst gewonnen haben.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schön wär’s!)

Noch einmal: Das ist die übereinstimmende Position der Europäischen Union und ihrer derzeit noch 28 Mitgliedstaaten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich darf eine Anmerkung machen: Es kann sein, dass ich aus dem Verteiler der amerikanischen Botschaft wegen meiner Haltung gestrichen worden bin. Mir ist eine solche Blaupause nicht zugegangen. Vielleicht sind nur die Linken damit beglückt worden.

Der Kollege Hampel hat als Nächster das Wort. Bitte.

Armin-Paulus Hampel (AfD):

Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,

bedeutet die Anerkennung von Herrn Guaidó als venezolanischem Regierungschef zwangsläufig die Ausweisung des venezolanischen Botschafters Ramón Orlando Ferreira? Denn er ist ein von der Maduro-Regierung entsandter Diplomat.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident, Herr Abgeordneter Hampel, nein.

Armin-Paulus Hampel (AfD):

Danke schön.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Das war eine kurze, wie ich finde, treffende Antwort. – Herr Kollege Hunko, bitte.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. – Sie haben vorhin gesagt, dass die Europäische Union in diesem umstrittenen Wahlverfahren, bei dem es um die Parlamentspräsidentschaft ging, Guiadó als Parlamentspräsidenten anerkannt hat. Wir haben nun seit einem Jahr die ziemlich bizarre Situation, dass ein Großteil der europäischen Staaten Guiadó auch als Präsidenten des Landes anerkennt, ohne dass irgendeine institutionelle Macht damit verbunden ist. Gab es auch dazu eine Verständigung unter den europäischen Staaten?

Die Situation wird ja immer bizarrer. Jetzt haben wir dort einen Streit und eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern innerhalb der Opposition. Hält man weiterhin daran fest, Guiadó auch als Interimspräsidenten Venezuelas anzuerkennen?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident, lieber Kollege Hunko, ich will das noch einmal präzisieren: Das, was dort an sogenannter Wahl stattgefunden hat, ist aus unserer Sicht nicht umstritten, sondern es ist klar rechtswidrig. Das Maduro-Regime hat sich nicht an die Verfassungsprinzipien und an die Gesetze des eigenen Landes gehalten, also sprechen wir von Rechtswidrigkeit. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Es gibt hier keinerlei Spekulation darüber, welche Rolle Parlamentspräsident Guaidó wahrnimmt. Denn das ergibt sich aus der Verfassung: Er ist der Interimspräsident mit einem klaren Auftrag, nämlich geordnete Wahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt herbeizuführen. Leider ist dieser Zeitpunkt noch nicht gegeben. Es geht hier also nicht um eine dauerhafte Positionierung von Herrn Guaidó als Staatspräsident, sondern es geht um eine Interimslösung, die sich aus der Verfassungsstruktur Venezuelas ergibt.

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