Interessen statt Prinzipien

Heike Hänsel über die Rolle Deutschlands bei der Beseitigung linker Regierungen in Lateinamerika

Die jüngste Reise von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach Argentinien und Mexiko belegt vor allem eines: den unbedingten Willen der Bundesregierung, die neoliberale Rechte in Lateinamerika politisch zu stärken und daraus wirtschaftspolitischen Nutzen zu ziehen. Ein gefährliches Spiel, denn Berlin etabliert damit Doppelstandards in der Menschenrechtspolitik: Was bei den einen zu scharfen Protesten führt, wird bei den anderen geflissentlich übersehen.

Das alles ist freilich nicht neu. Seit Jahren unterstützen die neoliberalen Regierungen in Europa die konservativ regierte Pazifik-Allianz in Lateinamerika, die auf Freihandel und eine massive Ausbeutung der Bodenschätze setzt, ohne entwicklungspolitische Ziele zu beachten. Das Ergebnis: Die makroökonomische Bilanz ist gut, aber die Menschen verarmen.

Beispiel Mexiko: Präsident Peña Nieto hob unlängst hervor, dass trotz der internationalen Krise die Wirtschaft um rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wächst. Zugleich ist Mexiko eines der Länder, in denen nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika – neben Guatemala und Venezuela – die Armut am meisten zugenommen hat; im Chaos von Gewalt und einem von Kriminellen unterwanderten Staat sind zehntausende Menschen verschwunden. Dessen ungeachtet arbeiten die EU und Mexiko an einer Neufassung des bestehenden Freihandelsabkommens, die durch die Privatisierung von Dienstleistungen sowie durch Staat-Investor-Schiedsgerichte erhebliche und irreversible politische und soziale Konsequenzen haben wird. In Mexiko hat Steinmeier nun das »Deutschland-Jahr«, gesponsert von zahlreichen deutschen Konzernen, eröffnet. Die Themen soziale Ungleichheit, Armutslöhne und niedrige Umweltstandards kamen dabei nicht vor. Aber gerade die massiven Menschenrechtsverletzungen finden häufig im Zusammenhang mit Energie- und Bergbauprojekten statt, von denen auch deutsche Unternehmen profitieren.

Beispiel Argentinien: Während Steinmeier mit der neuen neoliberalen Führung unter Präsident Mauricio Macri die »Rückkehr« des Landes auf die internationale Ebene lobte, demonstrierten in Buenos Aires Hunderttausende gegen Massenentlassungen. Und noch kurz bevor die deutsche Delegation Gedenkstätten für die Opfer der Militärdiktatur besuchte, hatte die Macri-Führung versucht, Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Aufklärung der Verbrechen einsetzen, Gelder zu streichen.

Der Schulterschluss mit den neoliberalen Gesinnungsfreunden geht einher mit einer Frontstellung gegen die lateinamerikanischen Mitte-Links-Regierungen. Dabei spielen auch die parteinahen Stiftungen – finanziert aus Bundesmitteln – eine entscheidende Rolle. Im Fall von Venezuela fördert die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung seit Jahren Vertreter des Oppositionsbündnisses MUD, obgleich führende Vertreter dieser Allianz für politische Morde verantwortlich gemacht werden. Im Fall von Honduras hat die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung den Putsch 2009 in Honduras unterstützt. Eine der Folgen: Heute versinkt das Land mehr denn je in Armut und Gewalt. Die politischen Morde, darunter der gewaltsame Tod der Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Cáceres im März dieses Jahres, sind bisher ohne politische Folgen geblieben.

Neben der Ignoranz der sozialen und menschenrechtspolitischen Bilanz in den Staaten der Pazifik-Allianz ist das Problem die dabei herrschende Doppelmoral. Während tausende Vertriebene durch Bergbauprojekte mit deutscher Beteiligung in Kolumbien offenbar hingenommen werden, zeigt man sich besorgt über Erdölprojekte im mitte-links-regierten Ecuador. Während sich die Bundesregierung hinter den Kulissen an der Stimmungsmache gegen Venezuela beteiligt, verliert sie kein Wort über fast bürgerkriegsartige Zustände in den Gebieten der Mapuche-Volksgruppe im Süden von Chile. Und während man im Fall von Kuba auf eine Suspendierungsklausel bei Menschenrechtsverstößen besteht, folgte auf zehntausende Morde und Verschwundene in Mexiko im Abkommen mit der EU bisher nur eine unverbindliche und daher nutzlose Menschenrechtsklausel.

Ohne einen klaren Schwerpunkt für Menschenrechte, Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit in Mexiko wird ein deutsch-mexikanisches Jahr den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nicht gerecht. Es bleibt ein Projekt für eine kleine privilegierte Elite.

Zuerst veröffentlicht in:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1015058.interessen-statt-prinzipien.html

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