Bonner Republik und Militärdiktaturen
Von Heike Hänsel
Transparenz verspricht die Bundesregierung mit Blick auf die Rolle der westdeutschen Diplomatie während der Zeit der Militärdiktaturen in Südamerika. Vor allem in bezug auf die Terrorregimes in Argentinien (1976-1983) und Chile (1973-1990) hatten sich Bonner Diplomaten – gelinde gesagt – nicht mit einer entschiedenen Menschenrechtspolitik hervorgetan. Das bekamen auch Bürger der Bundesrepublik und aus Deutschland stammende Menschen zu spüren. Hunderte verschwanden in den Folterkellern der Militärherrscher, ohne dass sich Bonn zu Protest bemüßigt gefühlt hätte.
Die Rolle der westdeutschen Politik und Diplomatie während der Militärdiktaturen steht nun wieder auf der Agenda. In diesem Kontext sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) einen vereinfachten Zugang zu den Archiven zur deutschen Foltersiedlung Colonia Dignidad in Chile zu. Wenige Wochen später besuchte er in Buenos Aires eine Gedenkstätte für die Opfer der Diktatur und traf sich mit Angehörigen der Opfer. Zeichnet sich also nun ein offensiver, aufdeckender Umgang mit der dunklen Vergangenheit westdeutscher Lateinamerika-Politik ab? Leider nein.
Das zeigt nicht nur die Einladungspraxis der Deutschen Botschaft in Chile, die kürzlich zum Gauck-Empfang ehemalige Peiniger der Colonia Dignidad eingeladen hatte. Auch eine kleine Anfrage an die Bundesregierung bestätigt nun, was Forscher und Menschenrechtsaktivisten schon lange kritisieren: Trotz anderslautender Behauptungen der Bundesregierung werden zahlreiche Akten zur westdeutschen Politik während der Militärdiktatur in Argentinien zurückgehalten – und zwar im Bundeskanzleramt, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesnachrichtendienst. Als Begründung werden nebulös »grundlegende Interessen der Bundesrepublik Deutschland« angeführt. Das zeigt, dass trotz aller anderslautenden Beteuerungen offenbar einiges verborgen gehalten werden soll. Auch fehlt bisher eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung bei den Angehörigen der deutschen und deutschstämmigen Opfer der Militärdiktatur.
Die Bundesregierung sollte dem Beispiel der US-Regierung und des Vatikans folgen, die angekündigt haben, alle relevanten Akten offen zu legen. Das Auswärtige Amt muss endlich Verantwortung übernehmen und eine unabhängige Historikerkommission finanzieren. Bisherige Initiativen kamen ausschließlich aus der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus braucht es eine transparente Aufklärung der Rolle des Bundesnachrichtendienstes.
Die Lesart des Auswärtigen Amtes, die damalige Bonner Regierung hätte sich »noch intensiver für den Schutz« deutscher Staatsbürger während der Diktatur in Argentinien einsetzen können, muss für die Angehörigen der Opfer, die damals mit einer an Komplizenschaft grenzenden Untätigkeit von Hans-Dietrich Genscher und anderen Politikern und Diplomaten konfrontiert waren, wie Hohn klingen.
Heike Hänsel ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag
Veröffentlicht in: https://www.jungewelt.de/2016/07-23/037.php