Unzulässiger Eingriff in Selbstbestimmungsrecht des Menschen

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Wir diskutieren heute über ein lebenswichtiges Thema, angesichts von knapp 10 000 Menschen, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten müssen. Uns alle hier eint in dieser Debatte das Ziel, die Zahl der Organspenden in Deutschland deutlich zu erhöhen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber wir streiten über den Weg dahin. Ich muss sagen: Formulierungen wie „Supergrundrecht“, „das Recht, in Ruhe gelassen zu werden“ oder auch „egoistische Grundhaltung“ sollten wir hier nicht verwenden;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn bei dieser schwierigen Entscheidungsfindung gibt es keine moralische Überlegenheit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich selbst bin keine Gesundheitspolitikerin. Trotzdem habe ich mich persönlich und daraus folgend auch politisch mit dem Thema der Organspende auseinandergesetzt. Ich besitze seit vielen Jahren einen Organspendeausweis – eine Entscheidung, die ich bewusst, freiwillig und selbstbestimmt getroffen habe.

Gerade deshalb war ich sofort skeptisch, als ich von der Idee der Widerspruchslösung gehört habe. Ich sehe den Gesetzentwurf von Jens Spahn als nicht zulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen an. Organspende ist ein Akt menschlicher Solidarität, in der christlichen Ethik ein Akt der Nächstenliebe.

Es ist völlig klar, dass der Mensch, der eine wesentliche Entscheidung über die Integrität des eigenen Körpers trifft, dies aus freien Stücken machen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Gesetzentwurf von Jens Spahn würde daraus de facto eine rechtswirksame Verpflichtung. Die Rechte, die uns das Grundgesetz zuschreibt, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit, müssen wir aber nicht aktiv reklamieren, durch Widerspruch; sie wohnen uns von Geburt an inne.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Mit der Widerspruchslösung laufen wir zudem Gefahr, uns nicht mehr mit den grundsätzlichen Defiziten in unserem Gesundheitssystem auseinanderzusetzen – zu wenig Personal, zu wenig Zeit für Patientinnen und Patienten und Angehörige –, die erheblich zu einer geringeren Zahl der Organspenden beitragen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

So berichtete das „Deutsche Ärzteblatt“ bereits 2018, dass Organspenden von Verstorbenen seit 2010 um 30 Prozent zurückgingen. Ursache dafür seien jedoch nicht etwa weniger potenzielle Organspender und ‑spenderinnen. Die Zahl der Spender und Spenderinnen habe zwischen 2010 und 2015 sogar um fast 14 Prozent zugenommen. Vielmehr seien die Entnahmekrankenhäuser verantwortlich, weil diese Spender und Spenderinnen zu selten erkennen und melden würden. Diese Probleme müssen wir doch lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Würden alle Kliniken so arbeiten, wie es im Rahmen eines Modellprojekts der Deutschen Stiftung Organtransplantation geschah, hätte es in Deutschland im Jahr 2015 statt 877 etwa 2 780 Organspender und ‑spenderinnen gegeben. – Das sind die grundsätzlichen Fragen.

Deshalb unterstütze ich unseren Gesetzentwurf, der Folgendes vorsieht: Wir wollen Menschen regelmäßig bei Behördengängen ansprechen. Dort wollen wir Informationsmaterialien verteilen, und wir wollen die Möglichkeit zu einer Entscheidung und Registrierung bereits dort eröffnen. Wir wollen ein Onlineregister. Zusätzlich zu dem vielen schon bekannten Organspendeausweis soll durch ein onlinebasiertes Verfahren ein niedrigschwelliger Zugang zu einem selbstständigen Eintrag in das Register geschaffen werden, durch den Menschen ihre Entscheidung selbst dokumentieren und jederzeit ändern können.

Mit unserem Gesetzentwurf – das ist neu – wollen wir erstmalig auch die Möglichkeit einräumen, dass sich Menschen zu Fragen der Organspende durch die Hausärztinnen und ‑ärzte beraten lassen können. Es gibt offene und auch heikle Fragen, etwa die der Hirntoddiagnostik, über die sich die Menschen nicht anonym im Internet informieren sollten, sondern in einem vertrauensvollen Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Dafür brauchen wir aber natürlich auch Ärzte und Ärztinnen mit besseren Kompetenzen in diesem Feld. Das Thema Organspende soll daher Teil der ärztlichen Ausbildung werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit können Patientinnen ergebnisoffen beraten werden, um zu einer informierten Entscheidung – ein zentraler Begriff im Patientenrecht – zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Im Gegensatz zu Jens Spahn wollen wir den vertrauten Organspendeausweis als ein Mittel der Selbstbestimmung beibehalten.

Als Katholikin teile ich auch den Aufruf der Kirchen: Achten wir den Wert des Menschen vom Anfang bis zum Ende mit seiner Freiheit zu positiver Entscheidung und Selbstbestimmung! Daher bitte ich um Ihre Stimme für die Verbesserung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

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