Polizeikooperation mit Chile

Fragestunde

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Ich rufe als letzte Frage die Frage 15 der Abgeordneten Heike Hänsel auf:

Erwägt die Bundesregierung, angesichts der zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen seitens chilenischer Sicherheitskräfte (www.amerika21.de/2019/12/235940/erneuttoter-chile-protest-menschenrecht) bzw. der laut Bericht von OHCHR durch exzessive Polizeigewalt verursachten Menschenrechtsverletzungen (www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25423&LangID=E) die Polizeikooperation mit Chile einzustellen bzw. zu überprüfen, wie bereits in Frankreich geschehen (www.dw.com/es/polic%C3%ADa-francesa-no-asesora-a-chile/a-51443401; bitte begründen)?

Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Sehr gerne, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Hänsel,

die chilenische Regierung hat die Bundesregierung um Unterstützung bei dortigen Reformprozessen in der Polizeiaus- und -fortbildung gebeten. Die Bundesregierung hat diesem Wunsch entsprochen und im Dezember des vergangenen Jahres zunächst eine Polizeidelegation des Bundesinnenministeriums nach Santiago de Chile entsandt, um Möglichkeiten der Beratung mit Blick auf Deeskalation, Wahrung der Menschenrechte, Kommunikation und Bürgerfreundlichkeit zu prüfen.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass gerade vor dem Hintergrund von Berichten über unverhältnismäßige Gewaltanwendungen durch Vertreterinnen und Vertreter von Sicherheitsbehörden eine Zusammenarbeit in diesen Bereichen einen wichtigen Beitrag leisten kann, um das Risiko weiterer Eskalationen bei Kundgebungen und Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften zu reduzieren.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse wird die Bundesregierung ihre Kooperation mit Chile weiter anpassen. Eine Einstellung wird aktuell jedoch nicht in Erwägung gezogen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin Hänsel, Sie haben eine Nachfrage. – Bitte schön.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön, Herr Präsident. – Ich muss sagen: Ich finde Ihren Umgang mit der Situation angesichts der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte in Chile skandalös. Das, was dort passiert, können wir sowohl im Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte als auch in zahlreichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen nachlesen. Zum Beispiel sagt

Amnesty International: Die Intention der chilenischen Sicherheitskräfte ist klar. Protestteilnehmer werden verletzt, um den Protest abzuschwächen. Das geht so weit, dass Folter und sexueller Missbrauch an den Demonstranten begangen werden. – Sie können doch nicht sagen:

„Wir bilden weiter aus; wir halten an der Kooperation fest“, wenn Sie das Ergebnis auf den Straßen sehen. Es ist keine Ausbildungsfrage, sondern eine politische Frage, wie die Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende vorgehen.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident, liebe Kollegin Hänsel, damit da keine Unklarheiten entstehen: Die Bundesregierung hat die Übergriffe auf das Schärfste verurteilt und eine unverzügliche Aufklärung eingefordert, wie im Übrigen viele andere EU-Mitgliedstaaten auch; auch die Europäische Union hat sich diesbezüglich entsprechend verhalten.

Jetzt will ich einmal klarstellen, worum es bei dieser Ausbildungsmission im Kern geht: Hier werden Polizistinnen und Polizisten, also Sicherheitskräfte, dabei unterstützt, ihren humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Es geht um Deeskalation. Es geht um Sicherheitskonzepte, die nicht auf Aggression und auf Gewalt, sondern auf Deeskalation aufbauen. Wenn die Bundesregierung gebeten wird, mit einem klar umrissenen Mandat dabei zu helfen, dass solche furchtbaren Übergriffe nicht mehr erfolgen, dann sollte die Bundesregierung dieses Angebot annehmen.

Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die weitere Entwicklung dieser Mission und unserer Unterstützung natürlich auch davon abhängig sein wird, wie sich die Sicherheitskräfte in den nächsten Monaten verhalten werden. Wir versuchen, in all unseren Gesprächen deutlich zu machen, dass dieser Umgang mit dem Demonstrationsrecht und mit Demonstrierenden inakzeptabel ist.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank. – Eine letzte und weitere Nachfrage der Kollegin Hänsel. Bitte schön.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Herzlichen Dank. – Ich muss sagen: Diese Haltung der Bundesregierung ist wirklich zynisch. Wir sehen seit Monaten eine Eskalation in dieser Auseinandersetzung. Die Sicherheitskräfte werden ja immer brutaler. Mittlerweile gibt es Bilder davon, dass die Geheimpolizei Demonstrierende in Autos verschleppt. Das erinnert an die dunkelste Zeit der Diktatur in Chile.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das erinnert an Venezuela! – Henning Otte [CDU/CSU]: DDR!)

Solche Bilder haben wir mittlerweile aus Chile. Und da sagen Sie, Sie setzten noch auf Fortschritt? Frankreich hat sich anders entschieden: Frankreich beendet die Zusammenarbeit. Meine Frage: Warum reagieren Sie nicht wie Frankreich, stellen die Zusammenarbeit mit der Polizei ein und beenden auch Rüstungsexporte und den Export sämtlicher Ausstattung, die die Polizei betrifft? Das wäre jetzt die richtige Antwort.

(Beifall bei der LINKEN)

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident! Frau Kollegin Hänsel, ich freue mich ja über fantasievolle Interpretationen meiner Aussagen. Ich habe zu keinem einzigen Zeitpunkt hier ausgeführt, dass wir die Sicherheitskräfte Chiles militärisch ausstatten oder mit Waffen ausstatten. Es gibt ein klar umrissenes Mandat, und es gibt ein Hilfeersuchen, dem sich im Übrigen auch andere Staaten angeschlossen haben. Wenn Sie jetzt interpretieren, dass die Tatsache, dass einige Staaten dem nicht oder noch nicht nachkommen, etwas damit zu tun habe, dass man die Sicherheitskräfte nicht unterstützen möchte, dann ist das eine Interpretation, der ich nicht folgen kann; denn es geht manchmal auch um Kapazitäten. Ich will jetzt nicht weiter spekulieren, was die Sicherheitskapazitäten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union anbelangt. Aber ich weiß, dass wir mit unserer Unterstützung klare Ziele verfolgen, nämlich, eine weitere Eskalation zu verhindern, die zwingende Einhaltung menschenrechtlicher Standards zu garantieren und damit einen konkreten Beitrag zur Deeskalation zu leisten.

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