Soziale Ungleichheit ist die größte Herausforderung

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir besprechen heute als letzten Tagesordnungspunkt dieser Woche die großen Zukunftsfragen der Welt und damit eigentlich die wichtigsten Fragen – leider ganz am Ende der Sitzungswoche. Es geht um globale Ziele, die sich die Weltgemeinschaft ab 2015 gemeinsam stecken will, die sogenannten nachhaltigen Entwicklungsziele, auf Englisch: Sustainable Development Goals, allgemein abgekürzt als SDGs. Das sage ich für die Gäste, weil ich mir sicher bin, dass viele noch nicht davon gehört haben.

Ein erster Entwurf dieser Ziele wurde im Rahmen der UN-Generalversammlung vorgestellt, die zurzeit tagt. Es geht um 17 nachhaltige Entwicklungsziele. Ganz oben steht natürlich das Ziel, die Armut zu überwinden. Wir müssen die weltweiten Ressourcen schonen, den Klimaschutz vorantreiben und die weltweite Ungleichheit bekämpfen. Es geht um Zielvorgaben, die für die Länder des Südens, aber genauso für die Industrieländer gelten sollen.

Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, noch vor der Sommerpause, also schon vor einigen Monaten, weil wir über dieses Thema hier im Parlament diskutieren wollten. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, ist die Frage der Partizipation, der Beteiligung. Alle waren sich einig – es gab viele Verlautbarungen der Regierungen -: Ja, wir wollen eine ganz breite Beteiligung, weil es um die Entwicklung unserer Gesellschaften geht. – Ich muss sagen: Wir haben jetzt zwar Ziele vorgelegt bekommen, es kommt auch zu einer Beteiligung; aber wenn ich hier fragen würde, wer schon einmal von den Entwicklungszielen gehört hat, dann würde ich vermutlich erfahren, dass es die wenigsten sind. Das ist ein großer Kritikpunkt. Wenn wir über so wichtige Fragen diskutieren, braucht es viel breitere Diskussionsprozesse und eine ernsthafte Beteiligung der Zivilgesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben vorgeschlagen, mit dem Thema in die Schulen, in die Universitäten und in die Kommunen zu gehen. All das wäre wichtig, um einen breiten Diskussionsprozess anzustoßen; denn alle Menschen sind davon betroffen. Es geht um ihren Lebensstil, darum, was sie konsumieren. All das sind wichtige Fragen; wir diskutieren sie mit Schulklassen. Aber es ist doch wichtig, die Beteiligung auch institutionell zu verankern. Ich hätte mir von der Bundesregierung gewünscht, dass sie einen viel breiteren Prozess anstößt, dass sie die Diskussion nicht auf der Ebene der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen, belässt – NGOs sind wichtig, aber es sind spezielle Gruppen -, sondern das Thema mehr in die Öffentlichkeit trägt. Ich denke, da muss man mehr machen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriela Heinrich (SPD))

Uns geht es, wenn ich mir die Ziele anschaue, vor allem um die Frage der sozialen Ungleichheit; das ist die größte Herausforderung. Wir kennen zum Teil die Zahlen; ich will eine nennen: Die 85 reichsten Personen weltweit besitzen ungefähr so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Ich denke, diese Zahl spricht für sich. Deshalb ist unsere große Forderung: Wir müssen den Kampf gegen die soziale Ungleichheit weltweit und auch in unserer eigenen Gesellschaft an die erste Stelle setzen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einen weiteren Punkt, der mich wundert. Die vorherigen Ziele, die 2015 auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele, befassten sich auch mit dem Thema Frieden. Dies wird in den neuen Zielen kaum thematisiert. Wir sehen doch weltweit die Kriege und Krisen; wir wissen ja gar nicht mehr, auf welche Kriegsregion wir zuerst schauen sollen. Deshalb hatten wir von Anfang an gefordert: Die Friedenspolitik muss in die Entwicklungsziele aufgenommen werden. Frieden und Entwicklung sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz konkret haben wir gesagt: Es muss um Rüstungsexport, aber auch um Abrüstung gehen. Weltweit werden 1,2 Billionen Euro für Rüstung ausgegeben. Diese können wir doch in Ausgaben für Entwicklung umwidmen. Das ist doch die zentrale Herausforderung. Wir brauchen das Geld für Entwicklung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben noch einen zweiten Antrag eingebracht, den wir gemeinsam mit den Grünen verfasst haben, was ich sehr begrüße. Wir haben ihn vorgelegt, weil nächste Woche, am 1. Oktober, eine Deadline der Europäischen Union endet. Es geht um Handelsfragen, die eine zentrale Rolle spielen, wenn es um die Bekämpfung sozialer Ungleichheiten geht.

Viele Menschen engagieren sich momentan sehr dafür, dass das TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, nicht zustande kommt. Es gibt aber auch andere Wirtschaftsabkommen mit den Ländern des Südens, vor allem mit den afrikanischen Ländern. Die afrikanischen Länder haben sich zwölf Jahre gegen das Ansinnen der Europäischen Union gewehrt, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abzuschließen, da dies für sie große Veränderungen zur Folge hätte: die Öffnung und Liberalisierung ihrer Märkte, gleicher Zugang von EU und afrikanischen Ländern. All das bedroht massiv die Existenz von Kleinbauern und viele Arbeitsplätze. Deswegen haben wir von Anfang an gesagt: Wir wollen diese Form der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht. Wir wollen neue Mandate, durch die die selbstbestimmte Entwicklung in den Ländern gestärkt wird.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der nächsten Woche, am 1. Oktober, läuft die Deadline der EU ab. Die EU hat den verschiedenen afrikanischen Ländergruppen gesagt: Wer bis dahin nicht unterzeichnet hat, für den fällt der zollfreie Zugang zu den Märkten weg. Das betrifft einige Länder, die sich in den letzten Jahren viel aufgebaut haben; konkret ist Kenia zu nennen. Sie gelten in der EU als Mitteleinkommensländer. Falls sie die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht unterschreiben, fällt ab dem 1. Oktober der zollfreie Zugang zu den Märkten weg. Das ist reine EU-Erpressungspolitik, und die lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern, dass der freie Zugang zu den Märkten über den 1. Oktober hinaus aufrechterhalten wird.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass es in Kenia um 500 000 Arbeitsplätze im Blumensektor geht, die konkret betroffen wären, wenn Zölle auf den Export von Blumen erhoben würden. In erster Linie würde das viele Fairtrade-Blumen betreffen. Diese Strukturen wurden unter anderem durch deutsche Entwicklungsgelder aufgebaut. Wir können als Entwicklungspolitiker doch nicht unterstützen, dass die EU diese Länder erpresst und dass Projekte, die mit deutschen bzw. EU-Entwicklungsgeldern aufgebaut wurden, in ihrer Existenz bedroht werden. Ich bitte die Bundesregierung: Setzen Sie sich dafür ein, dass der zollfreie Zugang für all diese Produkte aus Kenia über den 1. Oktober hinaus erhalten bleibt.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
[…]

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Bevor ich dem Kollegen Sascha Raabe das Wort gebe, erhält die Kollegin Hänsel die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Bitte kurz, weil die Züge gehen, Frau Kollegin!)

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke, Frau Präsidentin. – Ich weiß, dass wir alle schnell nach Hause wollen. Deshalb fasse ich mich ganz kurz. Aber eine Sache kann ich nicht auf sich beruhen lassen, lieber Kollege Heinrich. Sie haben gesagt, es sei unsere Befürchtung, dass die heimischen Produkte in vielen Ländern mit den Importen aus der Europäischen Union nicht konkurrieren könnten. Erstens gibt es schon zahlreiche Erfahrungen in vielen westafrikanischen Staaten, die mit Produkten aus der Europäischen Union wie Hähnchenfleisch und Tomaten überschwemmt werden und sich mit einem Kleinbauernproblem konfrontiert sehen.

Zweitens gibt es viele Briefe und Appelle gerade aus den westafrikanischen Staaten. Die dortigen Wirtschaftsverbände, Kirchen und Gewerkschaften schreiben uns Abgeordneten und an die Europäische Union und bitten darum, nicht so eine breite Liberalisierung zuzulassen. Diese Staaten, die sich gerade aus der Armut herausgekämpft und eigene Strukturen aufgebaut haben – vor allem geprägt durch Kleinunternehmen -, sollen nun in Konkurrenz zur übermächtigen Europäischen Union treten. Damit verhält es sich so, als ob Sie einen Porsche und ein Fahrrad nebeneinander stellen und sagen: Nun machen wir ein 100-Meter-Wettrennen. – Das sind keine gerechten Bedingungen. Haben Sie denn gar keinen Brief aus diesen Ländern gelesen und die Appelle aus den dortigen Zivilgesellschaften, dass wir so keinen Wettbewerb organisieren können, nicht wahrgenommen?

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